Nach Aufdeckung von betrügerischen Praktiken eines Pflegedienstes in der RTL-Sendung "Team Wallraff – Reporter Undercover" kündigte der Berliner Sozialsenator die mit dem Pflegedienst geschlossene Leistungsvereinbarung im Juni fristlos. Den hiergegen gerichteten Antrag auf Eilrechtsschutz lehnte das Sozialgericht ab.

Den hiergegen gerichteten Antrag auf Eilrechtsschutz lehnte das Sozialgericht per Beschluss wegen fehlender Dringlichkeit ab. Die Kündigung verursache nur einen relativ geringen finanziellen Schaden. Dem Pflegedienst könne zugemutet werden, den Ausgang der parallel erhobenen Klage abzuwarten. Auch das Ergebnis der laufenden strafrechtlichen Ermittlungen sei abzuwarten.

Der Sachverhalt

Am 5. Mai 2014 strahlte der TV-Sender RTL die Sendung "Team Wallraff - Reporter Under-cover" aus. Günter Wallraff gab sich als gesunder Rentner aus, der als Sozialhilfeempfänger Hilfe im Haushalt benötige. Bei einem Besuch in seiner Wohnung zeigte die Geschäftsführerin des Pflegedienstes ihm und seiner angeblichen Tochter, mit welchen schauspielerischen Tricks er einen Schlaganfallpatienten mimen könne.

Zugleich versorgte sie ihn unter anderem mit einem Rollator, Windeln und einer Urinflasche. Ziel war es, bei der Pflegebedarfsfeststellung des Sozialamtes möglichst umfangreiche Hilfeleistungen bewilligt zu bekommen. Als Belohnung sollte Wallraff davon 25 % für sich behalten dürfen.

Es ist alles nur Theater...

Aufgrund dieses und drei weiterer ähnlicher Fälle kündigte die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (Antragsgegner) mit Schreiben vom 11. Juni 2014 die mit der Pflegedienst-GmbH (Antragstellerin) geschlossene Leistungsvereinbarung über die Erbringung von Haushilfe und Hauspflege fristlos. Die Antragstellerin habe zulasten des Landes Berlin in erheblichem Umfang und zumindest grobfahrlässig nicht erbrachte Leistungen abgerechnet. Sie sei als unzuverlässig zu bewerten. Eine Fortführung des Vertrags sei nicht zumutbar.

Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 17. Juni 2014 an das Sozialgericht Berlin. Bei der Kündigung handele es sich um eine Überraschungsentscheidung. Der Antragsgegner versuche, sie kalt zu stellen. Ihr drohe die wirtschaftliche Vernichtung. Ohne vertragliche Grundlage sei es ihr nicht möglich, Leistungen zu erbringen und abzurechnen.

Die Entscheidung des Sozialgerichts Berlin (S 212 SO 1647/14 ER)

Das Sozialgericht Berlin hat den Antrag zurückgewiesen. Es gebe keine Eilbedürftigkeit. Die Kündigung betreffe nur den kleinen Teilbereich der nach § 75 Abs. 3 SGB XII (zusätzlich zu den Leistungen der Pflegeversicherung) erbrachten Haushilfe und Hauspflege, zum Beispiel psychosoziale Betreuung, Maniküre, Haarwäsche.

Dieser Bereich mache nur 2,5 % des monatlichen Umsatzvolumens aus. Es ist keiner Weise erkennbar, dass der Einnahmeverlust in eine wirtschaftliche Schieflage bringt, mit der sie weder die individuell mit den Pflegekunden abgeschlossenen Pflegeverträge einhalten noch ihre Personal und die Sachkosten bezahlen kann. Eine Insolvenz droht nicht. Die Berufsfreiheit der Antragstellerin nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ist nicht erheblich beeinträchtigt. Im Übrigen hat die Antragstellerin ebenfalls nicht dargetan, dass auch nur einer ihrer 77 Pflegekunden den Pflegevertrag bereits gekündigt hat oder warum es ihr auch in Zukunft nicht möglich sein sollte, neue Pflegeverträge mit (tatsächlich) pflegebedürftigen Menschen im Hinblick auf die zu erbringende Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung abzuschließen. Die Durchführung eines Prüfungsverfahrens obliege insoweit den Landesverbänden der Pflegekasse.

Vor diesem Hintergrund könne im Eilverfahren dahingestellt bleiben, ob die Einwände der Antragstellerin in der Sache berechtigt seien. Diese Beurteilung bleibe dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Dafür seien auch die vom Bezirksamt Mitte veranlassten strafrechtlichen Ermittlungen abzuwarten.

Gericht:
Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 08.07.2014 - S 212 SO 1647/14 ER

Quelle: SG Berlin, PM
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