Mit seinem Urteil (C-438/12) beantwortet der Gerichtshof Fragen des Oberlandesgerichts München nach der Auslegung der Brüssel - I - Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil - und Handelssachen.

Das ausschließlich zuständige Gericht darf weder das Verfahren aussetzen noch sich für unzuständig erklären, sondern muss in der Sache über die bei ihm erhobene Klage entscheiden.

Das Oberlandesgericht München ist mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Miteigentümerinnen eines Grundstücks in München befasst. In diesem Rechtsstreit verlangt die eine Miteigentümerin, nachdem sie ihr im Grundbuch eingetragenes Vorkaufsrecht am Miteigentumsanteil der anderen Miteigentümerin ausgeübt hat, Letztere zu verurteilen, die Eintragung der Eigentumsübertragung im Grundbuch zu bewilligen.

Unter diesen Umständen möchte das Oberlandesgericht München vom Gerichtshof wissen, ob es das Verfahren aussetzen und sich gegebenenfalls für unzuständig erklären muss, weil beim Tribunale ordinario di Milano (Zivilgericht Mailand, Italien) bereits ein Rechtsstreit über das Vorkaufsrecht anhängig ist. Der Käufer, an den die andere Miteigentümerin ihren Miteigentumsanteil verkaufen wollte, hat nämlich die beiden Miteigentümerinnen vor dem italienischen Gericht verklagt, um die Ungültigkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts und die Gültigkeit des Vertrags über den fraglichen Miteigentumsanteil feststellen zu lassen.

Die Brüssel - I - Verordnung sieht eine ausschließliche Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen vor. Ein dingliches Recht an einer Sache wirkt gegenüber jedermann, während ein persönlicher Anspruch nur gegen den Schuldner geltend gemacht werden kann. Für solche Rechtsstreitigkeiten sind die Gerichte des Mitgliedstaats ausschließlich zuständig, in dem die unbewegliche Sache belegen ist. Das Gericht des Belegenheitsstaats ist nämlich wegen der räumlichen Nähe am besten in der Lage, sich eine gute Kenntnis des Sachverhalts zu verschaffen und die einschlägigen Regeln und Gebräuche anzuwenden, die im Allgemeinen die des Belegenheitsstaats sind.

Der Gerichtshof stellt klar, dass diese ausschließliche Zuständigkeit für dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen auch für Klagen gilt, die auf Feststellung der Ungültigkeit der Ausübung eines an einem Grundstück bestehenden und gegenüber jedermann wirkenden Vorkaufsrechts gerichtet sind. Eine Klage, mit der im Wesentlichen festgestellt werden soll, ob die Ausübung des Vorkaufsrechts dem Berechtigten den Anspruch auf Übertragung des streitbefangenen Grundstücks hat sichern können, betrifft nämlich ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache. Daher fällt sie unter die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Belegenheitsstaats. Die Brüssel - I - Verordnung sieht außerdem vor, dass bei Rechtshängigkeit - wenn also bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden - das später angerufene Gericht das Verfahren von Amtswegen aussetzen muss, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich das zuerst angerufene Gericht nicht von Amtswegen für unzuständig erklärt und keine der Parteien die mangelnde Zuständigkeit gerügt hat (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 27 . Februar 2014, Rechtssache C - 1/13)

Sobald dies der Fall ist, muss sich das später angerufene Gericht zugunsten des zuerst angerufenen für unzuständig erklären. Grundsätzlich darf das später angerufene Gericht nicht selbst die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts prüfen.

Das Oberlandesgericht möchte wissen, ob dies auch gilt, wenn die Brüssel - I - Verordnung selbst dem später angerufenen Gericht eine ausschließliche Zuständigkeit zuweist. Der Gerichtshof entscheidet, dass das später angerufene Gericht, wenn es als Gericht des Belegenheitsstaats ausschließlich zuständig ist, weder das Verfahren aussetzen noch sich für unzuständig erklären darf, sondern in der Sache über die bei ihm erhobene Klage entscheiden muss. Denn eine Entscheidung, die das zuerst angerufene Gericht unter Verletzung der ausschließlichen Zuständigkeit des später angerufenen Gerichts erlässt, kann nach der Verordnung im Mitgliedstaat des später angerufenen Gerichts nicht anerkannt werden. Es entspräche nicht dem Gebot einer geordneten Rechtspflege, wenn in einem solchen Fall die Regel der Rechtshängigkeit angewandt würde.

Gericht:
EuGH, Urteil vom 03.04.2014 - C - 438/12

Quelle: EuGH, PM 51/14
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