Der Bundesgerichtshof hat sich in seinem Urteil (Az. VIII ZR 154/14) mit der Frage befasst, unter welchen Umständen eine auf den Eigenbedarf heranwachsender Kinder gestützte Eigenbedarfskündigung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs unwirksam ist.

Der Sachverhalt

Die beklagte Mieterin bewohnt eine Zweizimmerwohnung in Mannheim. Den Vertrag hat sie mit dem Vermieter am 14. April 2011 geschlossen. Knapp zwei Jahre später, am 28. Februar 2013 kündigte der Vermieter das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs zum 31. Mai 2013.

Als Begründung führte er an, seine 20 Jahre alte Tochter, die nach ihrem Abitur ein Jahr in Australien verbracht habe, werde nach Deutschland zurückkehren, danach eine Arbeitsstelle antreten und ein berufsbegleitendes Studium aufnehmen. Sie wolle nach ihrer Rückkehr eine eigene Wohnung beziehen. Vor ihrem Auslandsaufenthalt habe sie ein Zimmer bei ihren Eltern bewohnt. Die Mieterin widersprach der Kündigung, weil der Eigenbedarf für den Vermieter bei Abschluss des Mietvertrags vorhersehbar gewesen sei.

Der Vermieter erhob Räumungsklage, welche vom Amtsgericht stattgegeben wurde. Auf Berufung der Mieterin hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Eigenbedarfskündigung sei jedenfalls wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam. Für die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens reiche es bereits aus, wenn bei Vertragsschluss hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass das Mietverhältnis nur von kurzer Dauer sein werde. Das sei hier der Fall. Wenngleich sich die Tochter des Klägers bei Abschluss des Mietvertrags noch keine konkreten Vorstellungen über einen Auszug aus dem elterlichen Heim gemacht haben möge, hätte der Kläger bei verständiger Betrachtung den Eigenbedarf voraussehen können und müssen.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (Az. VIII ZR 154/14)

Die auf § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB gestützte Kündigung ist hier nicht wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam, so der Bundesgerichtshof in seinem Urteil (Az. VIII ZR 154/14).  

Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn...

Zwar liegt nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ein widersprüchliches rechtsmissbräuchliches Verhalten vor, wenn der Vermieter Wohnraum auf unbestimmte Zeit vermietet, obwohl er entweder entschlossen ist oder zumindest erwägt, ihn alsbald selbst in Gebrauch zu nehmen. Er darf in diesen Fällen dem Mieter, der mit einer längeren Mietdauer rechnet, die mit jedem Umzug verbundenen Belastungen dann nicht zumuten, wenn er ihn über die Absicht oder zumindest die Aussicht begrenzter Mietdauer nicht aufklärt.

Kein Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn...

Kein Rechtsmissbrauch liegt dagegen vor, wenn das künftige Entstehen eines Eigenbedarfs für den Vermieter zwar im Rahmen einer - von Teilen der Instanzrechtsprechung erforderlich gehaltenen - "Bedarfsvorschau" erkennbar gewesen wäre, der Vermieter aber bei Mietvertragsabschluss weder entschlossen gewesen ist, alsbald Eigenbedarf geltend zu machen, noch ein solches Vorgehen erwogen, also ernsthaft in Betracht gezogen hat. Denn bei verständiger und objektiver Betrachtung bringt ein Vermieter dadurch, dass er dem Mieter einen unbefristeten Mietvertrag anbietet und nicht von sich aus Angaben über den Stand und die mögliche Entwicklung seiner familiären und persönlichen Verhältnisse (etwa Heranwachsen von Kindern, drohende Trennung von Familienangehörigen, Erkrankung, berufliche Veränderungen) macht, regelmäßig nicht zum Ausdruck, dass er die Möglichkeit eines alsbaldigen Eigenbedarfs unaufgefordert geprüft hat und nach derzeitigem Erkenntnisstand ausschließen kann. Würde vom Vermieter bei Abschluss eines Mietvertrags eine solche - sich nach einer verbreiteten Auffassung auf bis zu fünf Jahre erstreckende - Lebensplanung verlangt werden, würde dessen verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit missachtet, über die Verwendung seines Eigentums innerhalb der gesetzlichen Grenzen frei zu bestimmen.

Würdung der Gesamtumstände

Für die - in erster Linie dem Tatrichter obliegende - Beurteilung, ob der Vermieter entschlossen war, alsbald Eigenbedarf geltend zu machen oder ein solches Vorgehen ernsthaft in Betracht gezogen hat, darf allerdings nicht allein auf seine Darstellung abgestellt werden. Vielmehr kommt es auf eine Würdigung der Gesamtumstände an. Dabei kann auch auf objektive (äußere) Umstände zurückgegriffen werden, sofern diese tragfähige Anhaltspunkte für den Kenntnisstand des Vermieters bilden.

Mieter nicht schutzlos: Ausschluss der Kündigung für einen gewissen Zeitraum möglich

Dass den Vermieter keine Verpflichtung zu einer "Bedarfsvorschau" trifft, stellt den Mieter nicht schutzlos. Will er das Risiko künftiger Entwicklungen nicht auf sich nehmen, kann er für einen gewissen Zeitraum einen beiderseitigen Ausschluss der ordentlichen Kündigung oder einen einseitigen Ausschluss der Eigenbedarfskündigung vereinbaren.

Der Rechtsstreit ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen zu dem – von der Beklagten bestrittenen - Vorliegen einer Eigenbedarfssituation und zu den von ihr geltend gemachten Härtegründen (§ 574 BGB) getroffen werden können.

Der Deutsche Mieterbund zu diesem Urteil

"Die Entscheidung ist wenig praxistauglich. Rechtsmissbräuchlicher Eigenbedarf liegt danach vor, wenn der Vermieter entschlossen ist bzw. ernsthaft erwägt, die Wohnung nur kurzfristig zu vermieten. Er muss sich aber beim Abschluss des Mietvertrages hierüber gar keine Gedanken machen. Erklärt er, er hätte in dieser Richtung beim Abschluss des Mietvertrages keine Überlegung angestellt, dann ist ein späterer kurzfristiger Eigenbedarf nicht rechtsmissbräuchlich. Mit dieser Argumentationshilfe des Bundesgerichtshofs ist das Thema kurzfristiger und rechtsmissbräuchlicher Eigenbedarf vom Tisch. Der Tipp des Bundesgerichtshofs, der Mieter könne beim Abschluss des Mietvertrages einen einseitigen Ausschluss des Rechts zur Eigenbedarfskündigung mit dem Vermieter vereinbaren, ist schlicht lebensfremd."

Gericht:
Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.02.2015 - VIII ZR 154/14

BGH
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