Darf man einen Berufskollegen von hinten umarmen und einige Sekunden an sich pressen? Ist das eine Bagatelle oder sexuelle Diskriminierung, die der Arbeitgeber mit der fristlosen Kündigung beantworten darf?

Diese Rechtsfrage beschäftigte kürzlich das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 17.07.2013 (Az.: 13 Sa 141/12). "Das Gericht stellte einerseits klar, dass Aufdringlichkeiten im Betrieb durchaus eine Kündigung zur Folge haben können. In weniger gravierenden Fällen muss der Arbeitgeber dem Mitarbeiter aber noch eine letzte Chance geben", fasst der Präsident der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf, Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons aus Duisburg, das Urteil zusammen. Und das heißt: Versetzung oder Abmahnung statt Kündigung.

Der Sachverhalt

Der entschiedene Fall betraf einen 40 Jahre alten Vertriebsingenieur eines großen Maschinenbauunternehmens, das ihm nach 13-jähriger Betriebszugehörigkeit wegen angeblicher sexueller Belästigung fristlos gekündigt hatte.

Er habe als Teilnehmer an einer Vertriebskonferenz anlässlich eines gemeinsamen Abendessens der Konferenzteilnehmer einen Mitarbeiter einer Tochtergesellschaft gegen 21.15 Uhr sexuell belästigt. Während dieser mit anderen Konferenzteilnehmern stehend im Gespräch vertieft gewesen sei, habe ihn der Ingenieur auf dem Weg zur Toilette zunächst mit der Hand in der Magengegend angefasst und dann auf dem Rückweg von hinten mit den Armen in Höhe der Magengegend umschlungen und sich an ihn gepresst. Letzteres habe den Kollegen derart angewidert und abgestoßen, dass er sich einen Monat später mit einer E-Mail an den Vorgesetzten des "Fummlers" gewandt habe.

Aus der Entscheidung

Die Landesarbeitsrichter aus Stuttgart betonten zunächst, dass eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz grundsätzlich für den Ausspruch einer fristlosen oder ordentlichen Kündigung geeignet sein könne. Die Auffassung des Arbeitgebers, dass ein solches Verhalten stets eine Kündigung rechtfertige, weil es sich um ein gravierendes Fehlverhalten handele, sei allerdings nicht zutreffend. Denn der Gesetzgeber werte eine sexuelle Belästigung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zwar als Verletzung vertraglicher Pflichten. Gleichwohl betrachte er sexuelle Belästigungen nicht als "absoluten" Kündigungsgrund, sondern führe in § 12 Abs. 3 AGG als Reaktionsmöglichkeiten auf einen solchen Pflichtverstoß zunächst beispielsweise die Abmahnung oder Versetzung und nur als letztes der dort aufgeführten Mittel die Kündigung des Arbeitsverhältnisses an.

"Ob ein solches Verhalten eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung rechtfertigen kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, u.a. von seinem Umfang und seiner Intensität", führt das Gericht aus.

Vorliegend habe es sich allenfalls um einen einmaligen Pflichtverstoß des gefeuerten Mitarbeiters mit geringer Intensität gehandelt, der den Ausspruch einer außerordentlichen oder auch ordentlichen Kündigung ohne vorherige Abmahnung unerhältnismäßig erscheinen lasse. Soweit der Arbeitgeber schildere, der Mitarbeiter habe den Kollegen auf dem Weg zur Toilette mit der Hand in der Magengegend berührt, könne schon nicht von einer sexuellen Belästigung ausgegangen werden. Der "belästigte" Kollege habe dies vielmehr nach eigenem Bekunden als Anspielung aufgefasst, dass er übergewichtig sei. Auch das Umschlingen mit den Armen in Höhe der Magengegend und das Anpressen nach der Rückkehr von der Toilette sei nicht gravierend, "wenn man berücksichtigt, dass sich dies in einer geselligen Runde abgespielt hat", so die Richter.

Dabei unterstellte das Gericht zu Gunsten des Arbeitgebers durchaus einen sexuellen "Bezug", der aber nicht gravierend gewesen sei. Insgesamt handele es sich um einen einmaligen Vorfall mit geringer Einwirkung auf einen anderen Arbeitnehmer. Eine ernsthafte Anfeindung, Erniedrigung oder Provokation sei damit nicht verbunden gewesen. "Es handelte sich um einen Vorfall von der Dauer weniger Sekunden, bei dem offenkundig nicht einmal Worte gefallen sind", schreibt das Gericht in den Urteilsgründen. Im Übrigen habe sich der Kollege der von ihm als unangenehm empfundenen Situation ohne Schwierigkeiten sofort entziehen können.

RAK Düsseldorf
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